Schnelle Hilfe für Seelen in Not
Initiative "SiN" von Pfarrer Mann kümmert sich um Angehörige von Opfern
Vom 24.03.2005
Rettungsdienste kümmern sich bei ihren Einsätzen vorrangig um den Körper eines Menschen. An psychischer Betreuung der Betroffenen im familiären
Umfeld mangelt es oft. Diese Aufgabe nimmt von Dotzheim aus der Verein "Seelsorge in Notfällen" (SiN) für Wiesbaden wahr.
Von Gabriele C. Jung
Die Auslage dieses Ladens in Dotzheim-Mitte wirkt etwas ungewöhnlich. Der gelbe Schutzhelm, die Notfalljacke und die rote Tasche sind mit dem
Schriftzug "Seelsorge in Notfällen" (SiN) ausgestattet. Die Eingangstür ist noch verschlossen, doch schon eilt jener Herr herbei, der offenkundig ein magisches Händchen haben muss. Denn er steckt andere
Menschen mit seinen Ideen an und ist zugleich für deren Impulse offen.
Amt mit drei AufgabenEs sind im übertragenen Sinn mehrere Taschen die der 1958 in Wiesbaden geborene Pfarrer Andreas Mann trägt. Doch als
Perfektionist liebt er die Herausforderung. Wenn er heute eine halbe Stelle für die Notfallseelsorge in Wiesbaden wahrnimmt (Trägerverein ist SiN), eine viertel Stelle als Pfarrer an der Biebricher
Oranier-Gedächtniskirche (mit Notfallseelsorge als Gemeindeprofil), so fehlt da noch ein Viertel. Dieses gilt seiner Tätigkeit als Beauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau für die Notfallseelsorge
im Kirchengebiet. Dazu gehören 25 Projekte zwischen Heidelberg im Süden und Waldeck in Nordhessen. Das heißt: Andreas Mann teilt seine Aktivitäten zwischen Biebrich, ganz Wiesbaden und der Landeskirche. Kein Wunder,
dass dies ein intensives Termin-Management erfordert.
Von Konfirmation geprägtIm Gespräch zeichnet sich ab, wie dieser Pfarrer seit der Konfirmation in der Lukaskirchen-Gemeinde seinen Weg zur
Theologie, insbesondere aber zur Notfallseelsorge fand. Ursprünglich wollte er auf den Spuren von Jacques Cousteau nach dem Abitur am Niemöller-Gymnasium Meeresbiologe werden. Doch parallel beschäftigten ihn
Religion und Philosophie stark. So dürfte er wohl einer der letzten hessischen Abiturienten mit der raritätischen Fächer-Kombination Deutsch, Religion, Philosophie und Biologie sein.
Motiviert durch Zivildienstleistende in der Lukasgemeinde, begann nach der Konfirmation sein Interesse an Jugendarbeit, vor allem aber auch an der
Frage "Wie funktionieren Menschen miteinander?" Während seines Studiums der Theologie und Politikwissenschaft in Mainz und Frankfurt jobbte er relativ viel und hatte mit kirchenfernen Menschen zu tun.
"Große Sprüche waren da nicht angebracht, man musste die Themen beim Namen nennen." Was nach dem kirchlichen Examen folgte, war für den jungen Vikar ein ziemliches Wechselbad. Auf Weltverbesserung
drängend, kam er quasi aus einem Solidaritäts-Komitee für Nicaragua in eine sehr reiche Gemeinde nach Bad Homburg. "In der Zeit habe ich gelernt, kleine Brötchen zu backen", berichtet er. Doch nach zwei
Jahren war es immerhin ein kleines Brötchen, denn der Kirchenvorstand förderte ein Projekt für Brot für die Welt.
Während seines Vikariats stolperte Mann über seine künftige Frau. Er teilte sich in Wiesbaden mit einem Freund eine alte Mansardenwohnung und wollte
einen Boiler anbringen. Mit dem Bohrer kam er bei seiner Nachbarin an, die zu ihm sagte: "Sie sind jetzt durch."
Während seiner insgesamt 14 Jahre an der evangelischen Kirche Dotzheim - zunächst als Verwalter einer Pfarrstelle, dann vom Kirchenvorstand
gewählter Pfarrer - prägten ihn mit Blick auf SiN in den frühen 90er Jahre zwei Schlüsselerlebnisse. Seine Dotzheimer Gemeinde schickte zwei große Hilfskonvois nach Rumänien, unterstützt von den Johannitern.
Bedingung für die mitreisenden Betreuer war, dass sie mindestes einen Kurs in Erster Hilfe absolvierten und sich im Krankenwagen etwas auskannten. Mann berichtet: "Das ist der Beginn meines Interesses an der
Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen. Bis dahin hatte ich mich vor so etwas immer gescheut. Ich begriff, dass mich das, was ich vorher immer weggeschoben hatte, interessierte. Denn es waren nicht nur Blut, Tränen
und Schmerz." Ein Ergebnis daraus war, das er sich ehrenamtlich zum Rettungssanitäter ausbilden ließ.
Für den Vater von drei Kindern bedeutete es einen weiteren Einschnitt - parallel zu den Konvois - , dass seine jüngere Tochter 1989/90 an einer
Epilepsie erkrankte. Dadurch kam es zur Auseinandersetzung mit Krankheit und Behinderung in der eigenen Familie. Vor diesem Hintergrund der unterschiedlichen Erfahrung menschlicher Grenzsituationen entstand das, was
Mann
WT-Reportage
"als eine Art Versuppung" bezeichnet und damit eine Bündelung von Kräften meint. Seine Wahrnehmung damals war, dass der Rettungsdienst
sich in erster Linie um den Körper eines Menschen kümmert. Er schildert: "Was immer ein bisschen herunterfiel war, dass sich jemand auch menschlich und psychisch einsetzte. Zum Beispiel bei einem plötzlichen
Todesfall im familiären Umfeld."
So wurde aus der "Ursuppe" 1993 im Dotzheimer Pfarrgemeindezentrum der Verein Seelsorge in Notfällen gegründet. Dabei waren Pfarrer,
Rettungsdienstler und engagierte Laien, die ihre Initiative von Anfang an nicht als Hobby, sondern als verlässliche Größe nach außen verstanden. Derzeit hat SiN 160 Vereinsmitglieder, von denen sich 30 Aktive den
Dienst teilen. Polizisten, Pfarrer, Ärzte, Sozialarbeiter, Menschen aus helfenden Berufen sowie Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sind im Einsatz. Sie lernen zuvor, mit der Seele umzugehen.
Die aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen sich finanzierende, bis 1999 ausschließlich ehrenamtlich wirkende Gruppe ohne öffentliche Zuschüsse war 1993
das erste Projekt dieser Art im Bereich der Landeskirche. 1993 erhielt Mann dann jene erwähnte halbe Stelle für Notfallseelsorge in Wiesbaden.
Leitstelle vermittelt Wie wurden Notsituationen bewältigt, bevor es SiN gab? Wollte ein Rettungsdienst nach einer erfolglosen Reanimation vor Ort
für die betroffene Familie gern einen Geistlichen rufen, war langes Blättern im Telefonbuch angesagt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre das Ansinnen nicht lösbar gewesen. Das gleiche Problem bedrängte den
Gemeindepfarrer, weil ihm die Information über ein Gemeindemitglied in Not fehlte.
Heute sieht es durch SiN so aus, dass es stets ein Team mit zwei über Piepser abrufbereite Aktive gibt, die für die Leitstelle erreichbar sind. Wenn
Rettungsdienst, Feuerwehr oder Polizei erkennen, dass Betreuungsbedarf besteht, lassen sie SiN über die Leitstelle informieren. Die Aktiven rufen zurück, erfragen den Einsatzauftrag und sagen: "Wir kümmern
uns." Die beiden Mitarbeiter bemühen sich dann, erst einmal herauszufinden, was die Bedürfnisse in der konkreten Notlage sind und wie sie den Menschen am besten helfen können.
Eigene EinsatzautosDie Aktiven - sie haben anders als die Feuerwehr kein Recht im Sinne von Dienstbefreiung - treffen sich einmal monatlich zur
Dienstbesprechung in der Wiesbadener Straße 24. Dort werden die zwischen einem halben Tag und zwei Wochen am Stück liegenden Einsätze abgeklärt Der Trägerverein besitzt heute drei eigene Einsatzautos. Das Profil von
Andreas Mann, der 2001 für seine Aufbauhilfe im Bereich Notfallseelsorge das Bundesverdienstkreuz erhielt, umfassend darzustellen, wäre vermessen. Doch nur noch so viel: Als "Auswüchse seiner Anfänge bei den
Johannitern" bezeichnet er es, dass er ehrenamtlicher Landespfarrer der Johanniter im Landesverband Hessen, Rheinland-Pfalz, Saar ist.
|